„FRAUENBERUF“ ERZIEHER
- svenjaklassert
- 13. Dez. 2015
- 6 Min. Lesezeit

Als Kindergartenkind hatte ich keine Ahnung, dass es auch männliche Erzieher gibt. Aber auch ein Vierteljahrhundert später ist die Arbeit in Kindertageseinrichtungen noch immer eine Frauendömäne: 2014 betrug der Anteil männlicher Fachkräfte in ganz Deutschland nur 3,8 %*. In der Erzieherausbildung ist der Anteil höher: im Schuljahr 2013 / 2014 gab es 16,3 % männliche Absolventen**. Interessant sind auch die Absolventenzahlen der einzelnen Bundesländer: 24,2 % in Berlin, in Bayern hingegen nur 10,8 %. Nicklas und André gehören zu diesem geringen Anteil in Bayern – sie sind momentan Erzieher im Anerkennungsjahr und werden nächsten Sommer ihre Ausbildung abschließen. Im Interview verraten sie, wie es ist, als Mann in einem frauendominierten Beruf zu arbeiten und ob Vorteile oder Vorurteile überwiegen.
Was hat euch dazu motiviert, Erzieher zu werden?
André: In der neunten Klasse habe ich ein Praktikum im Kindergarten gemacht. Das hat mir am besten gefallen von den Berufen, in die ich mal reingeschnuppert hatte. Ich mochte, dass der Beruf sehr abwechslungsreich ist, einen großen kreativen Bereich hat und man seine eigene Persönlichkeit mit einbringen kann.
Nicklas: Bei mir war es ähnlich. Ich habe mit 13 / 14 Jahren verschiedene Praktika gemacht, unter anderem bei einem Elektriker. Dort habe ich gemerkt, dass es mir nicht so gefällt, den ganzen Tag hauptsächlich mit Technik und Maschinen zu arbeiten – den meisten Spaß hatte ich dabei, mich mit Kunden zu unterhalten. So hat sich heraus kristallisiert, dass ich was mit Menschen machen will. Krankenpflege war mir zu theoretisch, Altenpflege hat mir nicht gefallen, also bin ich dann zur Kinderpflege gekommen.
„...aber es kam trotzdem die Frage: ,Bist du dir da sicher?
Als Mann in diesem Beruf?'“ (Nicklas)
Wie haben eure Familien und Freunde auf eure Berufswahl reagiert?
Nicklas: Meine Mutter hat das unterstützt – die restliche Familie eigentlich auch, aber es kam trotzdem die Frage: „Bist du dir da sicher? Als Mann in diesem Beruf?“ Mir war das eigentlich ziemlich egal, dass überwiegend Frauen in diesem Beruf arbeiten. Vielleicht, weil ich privat mit wenigen Männern aufgewachsen bin – ich hatte weder Bruder, noch Onkel noch Opa und meine Eltern waren geschieden. Ich war das also gewohnt.
André: Meine Mutter wollte damals, dass ich Steuerfachangestellter werde oder irgendwas im wirtschaftlichen Bereich mache. Sie hat ein bisschen länger gebraucht, sich damit abzufinden und es kamen Argumente wie: „Eigentlich könntest du viel mehr verdienen und einen viel ‚besseren‘ Beruf machen“. Mein Vater hatte wohl noch mehr Probleme damit, weil er das Ganze nicht richtig ernst genommen hat. Ich glaube, er hatte sich für mich etwas „männlicheres“ vorgestellt – für ihn ist Erzieher eben ein weiblicher Beruf. Als ich damals in meiner Klasse erzählt habe, was ich werden möchte, waren die ersten Reaktionen: „Was willst du machen?“ Es kam auch mal so etwas wie: „Bist du schwul?“, „Bist du pädophil?“ oder „Was ist denn eigentlich mit dir los?“. Solche Reaktionen kamen aber nur vereinzelt und es lag auch daran, dass ich damals auf einer Wirtschaftsschule war und die meisten meiner Mitschüler sich eine Ausbildung in diesem Bereich gesucht haben.
„Einmal richtete eine Kollegin aus meiner Gruppe mir die Bitte
einer Mutter aus, dass ich deren eines Kind nicht wickeln und dessen ältere Schwester nicht auf die Toilette begleiten soll.“ (Nicklas)
Habt ihr im Berufsalltag mit Vorurteilen zu kämpfen?
André: Ganz klassisch und immer wieder lustig ist, wenn es heißt: „Oh, wir haben ja jetzt einen großen starken Mann im Haus. Der kann ja auch mal was mit Elektrik machen.“, oder „Der kann ja auch mal was schweres hoch tragen“.
Nicklas: Bei mir gab es teilweise heiklere Situationen: Einmal richtete mir eine Kollegin aus meiner Gruppe die Bitte einer Mutter aus, dass ich deren eines Kind nicht wickeln und dessen ältere Schwester nicht auf die Toilette begleiten solle. Es gab auch eine Mutter, die beim Abholen gesehen hatte, dass ihr sechsjähriges Kind gerade auf meinem Schoß saß. Daraufhin hat die Mutter gesagt, dies wolle sie in Zukunft nicht. Das sind dann so die Momente, auch sexualpädagogisch gesehen, wo ich Verständnis habe. Bei Frauen denkt man sich da nichts, die haben selbst Kinder, das ist dann einfach eine andere Rolle.
André: Wobei ich denke, dass so ein gewisses Grundvertrauen da sein muss. So etwas würde mich total aufregen.
Nicklas: Schön ist es nicht, wenn man so etwas gesagt bekommt, aber man muss das respektieren.
André: Gerade im Kindergarten oder im Hort kommst du als Mann schneller in solche Situationen. Szenen die mit Frauen als normal wahr genommen werden, wirken mit einem Mann auf Eltern alarmierend – das ist fies.
Nicklas: Es geht aber schon bei ganz banalen Sachen los: Wenn du im Kindergarten einem dreijährigen Kind ein Buch vorliest, es einschläft und sich dabei an dich kuschelt, ist das etwas ganz Normales – dabei denken sich Erzieher und Kind nichts Böses – aber es kommt eben bei manchen Eltern anders an.
Von den Vorurteilen zu den Vorteilen: habt ihr welche gegenüber euren weiblichen Kolleginnen?
Nicklas: Große würde ich sagen, vor allem was Bewerbungen betrifft – die Einrichtungen suchen männliche Erzieher. Ich glaube ein weiterer Vorteil – vor allem im Team – ist, dass ein Mann sich eher durchsetzt. Frauen neigen eher dazu unterdrückt-schwelende Konflikte zu haben und zu lästern, wohingegen ein Mann eher direkt sagt: „Nein, das gefällt mir nicht, da möchte ich jetzt drüber reden und fertig“. Einmal kam sogar eine Kollegin zu mir und sagte: „Nicklas kannst du das für mich ansprechen? Ich trau mich nicht“. Allerdings kann man das nicht pauschalisieren, da jeder Mensch in seiner Konflikintervention und -prävention anders ist.
André: Ich finde, dass zum Beispiel meine Stimme einen großen Vorteil darstellt. Mein Eindruck ist, dass Kinder auf Männerstimmen stärker reagieren und dass man schneller respektiert wird.
Nicklas: Ein weiterer Vorteil zeigt sich in der Elternarbeit, nämlich, wenn man ein Elterngespräch mit beiden Eltern hat. Papas freuen sich durchaus im Erzieher einen gleichgeschlechtlichen Erziehungspartner zu haben, mit dem sie sich identifizieren können.
Stichwort Prestige: Manche Frauen finden es toll, wenn Männer gut mit Kindern umgehen können – andererseits hört man auch, dass manche den Beruf Erzieher unmännlich und unattraktiv finden. Wie sind eure Erfahrungen?
André: Dazu kann ich nicht viel erzählen – mit der Ausbildung ist es eher ein Vorteil, weil du da ganz viele Frauen kennen lernst, die beruflich ähnlich orientiert sind wie du.
Nicklas: Wenn man sich als Frau für einen Erzieher interessiert, muss man schon damit rechnen, dass er eine eher feminine Ader hat, nicht so wie einer vom Bau, der rumplärren kann.
Andre: Das kommt drauf an, rumplärren kann ich genauso. (lacht) Ich denke, man darf da nichts verallgemeinern. Aber man kann als Mann im Erzieherberuf auch schnell in die Freundschaftsschiene rutschen. Auf lange Sicht bekommt man viel Kontakt zu Frauen, woraus sich privat was ergeben könnte, aber nicht muss.
„Ein Problem ist, dass man als Mann in der Minderheit ist
und andere Erzieher im Team als Vorbild bräuchte. Männer, die dir zeigen, wie du deine Rolle als Erzieher entwickelst und wie du
als Mann mit den Kindern umgehst.“ (André)
Es heißt oft, der Erzieherberuf sei bei vielen jungen Männern unbeliebt. Wie könnte man das ändern?
André: Ein Problem ist, dass man als Mann in der Minderheit ist und andere Erzieher im Team als Vorbild bräuchte. Es fehlen andere Männer, die dir zeigen, wie du deine Rolle als Erzieher entwickelst und wie du als Mann mit den Kindern bestmöglich umgehst. Du hast eben „nur“ Frauen von denen du dir alles abschauen kannst – das ist definitiv eine Schwierigkeit. Die geringe Bezahlung ist natürlich ein weiterer Punkt.
Nicklas: Man steht schon oft ziemlich alleine da. Ich habe mal ein Praktikum in einer Einrichtung mit männlichem Kollegen gemacht und das war ein ganz anderes Arbeiten. Die Teamstruktur ist ganz anders und es ist manchmal einfacher mit einem Mann zu sprechen, weil der gewisse Probleme oder Gedanken eher versteht, als eine Kollegin. Da fehlt dann nicht nur das Vorbild, sondern auch die Unterstützung. Der Beruf sollte aber auch aus dem Klischee raus kommen – auch medial gesehen. Es wird immer von Erzieherinnen berichtet und nicht dem Erzieherberuf oder einem Erzieher. Bei den typischen Bildern in dem Medien, siehst du im Hintergrund eine Frau, die mit Kindern spielt. Bei solchen Kleinigkeiten sollte man eigentlich schon ansetzen. Man sollte den jungen Männern außerdem die Angst nehmen, ausgelacht oder nicht ernst genommen zu werden.
André: Man sollte öffentlich betonen, dass männliche Erzieher gezielt gesucht werden, um den Kindern auch eine männliche Identifikationsfigur zu bieten. Ich bin als Mann sowohl von Erzieherinnen, als auch von Eltern sehr herzlich aufgenommen worden. Und eigentlich kannst du im Kindergarten sehr männlich sein – auch die Erzieherin. Man muss im Kindergarten tough sein, sonst klappt das auf lange Sicht nicht.

André an seinem Arbeitsplatz – sein Anerkennungsjahr absolviert er in einem Waldkindergarten
Anmerkungen:
* Reine Schulhorte ausgenommen
** Die Differenz zu dem Anteil der Männer in Kitas, lässt sich dadurch erklären, dass viele männliche Erzieher in Einrichtungen mit älteren Kindern, wie Horten oder Heimen, arbeiten.
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